Temperaturmessungen am Teleskop während Auskühlphase


Martin Raabe, 15.10.02.
Update 29.10.02

Angeregt durch den Artikel von H.G.Ziegler in Sterne und Weltraum 10/2001 entstand im Forum von Astronomie.de eine angeregte Diskussion zum Auskühlverhalten von Teleskopen unter freiem Himmel. Für alle die das Thema damals nicht verfolgt haben hier eine kurze Zusammenfassung des Sachverhalts.

Ein Körper, z.B. auch ein Teleskop, steht in einem Strahlungsaustausch mit seiner Umgebung. Uns geht es dabei um die Auswirkungen der Wärmestrahlung, die bei den hier vorkommenden Temperaturen tief im Infraroten liegt (Strahlungsmaximum ca. bei 10 Mikrometer Wellenlänge). Die Wärmestrahlung bildet zusammen mit der Wärmeleitung in einem Körper und dem Austausch eines wärmetragenden  Mediums (Konvektion) die elementaren Mechanismen der Wärmeübertragung zwischen Körpern bzw. deren Umgebung.

Jeder Körper mit einer Temperatur über dem absoluten Nullpunkt gibt Wärmestrahlung ab. Im allgemeinen empfängt er aber auch Wärmestrahlung aus seiner Umgebung. Wenn alle Körper der Umgebung die gleiche Temperatur haben, wird der Netto-Strahlungsfluss Null. In allen anderen Fällen wird dem Körper netto Energie zugeführt, d.h. die Temperatur des Körpers erhöht sich mit der Zeit, oder er verliert netto Energie, dann sinkt die Temperatur. Die abgestrahlte Leistung eines Körpers ist proportional der vierten Potenz seiner absoluten Temperatur.

Ein Teleskop steht im Strahlungsaustausch mit dem Boden, und mit dem freien Nachthimmel. Normalerweise sind die Temperaturen des Teleskops und des Bodens näherungsweise gleich groß (bis auf einige Grad), deshalb strahlen sich Teleskop und Boden gegenseitig etwa die gleiche Leistung zu. Anders verhält es sich jedoch mit dem klaren(!) Himmel, der so wenig Strahlung emittiert dass das Teleskop zum Himmel hin sehr viel mehr Leistung abstrahlt, als es vom Himmel zugestrahlt bekommt.

Ziegler hat nun in seinem Artikel auf diesen Sachverhalt hingewiesen, und die Schlussfolgerung gezogen dass unter diesen Strahlungsbedingungen ein Teleskop, insbesondere der Bauart Schmitt-Cassegrain u.ä., niemals den Zustand völliger Temperaturanpassung ("Auskühlung") erreichen kann. Die unsymmetrische Strahlungsbilanz führt stets dazu, dass die zum Himmel gerichteten Oberflächen deutlich unter die übrigen Teile abkühlen, und das dieser Zustand einer ungleichmäßigen Temperaturverteilung DAUERHAFT besteht.

Wenn die verschiedenen Teile des Tubus, Schmitt-Platte, Hauptspiegel verschiedene Temperaturen haben, kommt es zu einer Luftkonvektion im Tubus, angetrieben durch die verschieden warmen Luftmassen. Unter diesen Bedingungen, so Ziegler, wird keine zufriedenstellende Bildqualität erreicht. Wenn eine Strecke von 1 Meter Luft von einem Lichtstrahl durchlaufen wird, ergibt sich pro Grad Temperaturdifferenz der Luft eine Wellenfrontverschiebung von lambda/4. Die Strahlen, die die verschieden warmen Luftbereiche im Tubus durchlaufen haben, sind also um einen bestimmten Betrag phasenverschoben und verschlechtern damit das Bild.

An einem C8 sollen zwischen Tubusoberseite und Unterseite Temperaturdifferenzen von bis zu 8 Grad gemessen worden sein.

Die Diskussion im Forum zu diesem Thema hat damals ergeben dass es anscheinend wirklich einige thermische Effekte am Teleskop gibt, wobei sicher auch die beschriebene Ursache einen Anteil hat. Von guten Erfahrungen mit isolierten, belüfteten und strahlungsmäßig optimierten Tuben wurde berichtet.

Nach einigen Überlegungen zur analytischen Bestimmung oder numerischen Simulation des Strahlungsfeldes, die nicht so recht zielführend waren, habe ich mich dazu entschlossen das Thema experimentell anzugehen. Welche Temperaturunterschiede kann man eigentlich messen, wovon hängen die Temperaturunterschiede ab, was kann man gegen die ungleichmäßige Temperaturverteilung tun?

Ein Messaufbau mit 8 Thermofühlern war schnell gebastelt, und in verschiedenen Nächten habe ich damit das Temperaturprofil an einigen Stellen des Teleskoptubus über die ersten Stunden nach dem Aufbau unter freiem Himmel gemessen. Im folgenden finden sich drei Diagramme zu solchen Messungen. Das verwendete Teleskop war ein 6" Maksutov-Cassegrain, unter einem Elevationswinkel von 45 Grad aufgestellt. Die Temperatursensoren wurden auf eine relative Genauigkeit von ca. 0.15 Grad kalibriert. Vermutlich führt die nicht ideale Ankopplung der Sensoren am Tubus zu einem Messfehler, der so gerichtet sein sollte dass eher zu kleine Temperaturunterschiede gemessen werden.
 

Messung 1 (16.02.02): Es fällt auf dass bereits einige Minuten nach dem Aufbau (bei 0 Min.) die Temperaturen unterschiedlich sind. Die Taukappe und der obere vordere Tubus sind kühler als der dem Boden zugewandte hintere untere Tubusteil. Das entspricht der Überlegung bezüglich der Netto-Abstrahlung zum Himmel. Alle Temperaturen liegen nach einer Stunde bereits UNTER der Lufttemperatur! Die relativen Temperaturen stellen sich nach ca. einer Stunde ein und die Differenzen bleiben während der nächsten 5 Stunden nahezu konstant erhalten. Es tritt also keine gleichmäßige Auskühlung ein, und schon gar keine Angleichung an die Lufttemperatur!

Wetterbedingungen: Himmel klar, leichter Wind
 


 

Messung 2 (14.09.02): Es zeigt sich prinzipiell der gleiche Verlauf. Hier wurde in der 53.Minute eine "Rettungsfolie" locker über den Tubus gelegt, und in der 82.Minute wieder entfernt. Man erkennt deutlich dass die Temperaturverteilung sofort auf die Veränderung des Emissionskoeffizienten reagiert. Durch die Folie reduziert sich der Strahlungsaustausch gegenüber dem lackierten Alutubus, und die temperatur-ausgleichenden Mechanismen (Wärmeleitung im Tubus, Wärmeübergang an die Umgebungsluft) kommen verstärkt zum tragen.

Die unteren Tubusteile, die im Strahlungsaustausch mit dem etwa gleich warmen Boden stehen reagieren wenig auf die Folie (da auch vorher kein wesentlicher Netto-Strahlungsfluss stattfand). Jedoch reagieren die oberen vorderen Teile deutlich, da deren Abstrahlung (=Netto-Wärmeverlust) zum Himmel hin durch die Folie stark reduziert wird. Auf die Innenseite der unteren Taukappenhälfte (violette Linie) hat die außen über den Tubus gelegte Folie keinen Einfluss, die obere Hälfte (hellblau) erwärmt sich jedoch deutlich.

Wetterbedingungen: Himmel meist klar, vereinzelt durchziehenden Wolken, ab ca. 90.Minute stärkere Bewölkung, leichter Wind

 


 

Messung 3 (29.09.02): Eigentlich hatte ich in dieser Nacht größere Temperaturunterschiede erwartet. Insbesondere die trockene Luft und die gute Transparenz sollten dazu führen dass vom Himmel sehr wenig Strahlung zurückkommt. Aber auch hier stellen sich etwa die gleichen Temperaturunterschiede ein wie bei den vorherigen Messungen.

Wetterbedingungen: Himmel sehr klar, trockene Luft, windstill
 


 

Für mich ist damit eigentlich klar dass tatsächlich der von Ziegler beschriebene Effekt auftritt, messbar und reproduzierbar ist. Allerdings konnte ich die beschriebene Größenordnung der Temperaturunterschiede (bis zu 8 Grad) noch nicht verifizieren. Das kann aber zum Teil an der massiveren Bauweise des Maksutovs liegen, dessen kleinerer Tubus mit großer Wandstärke durch seine höhere Wärmeleitung den entstehenden Temperaturdifferenzen stärker entgegenwirkt.

Messung 4 (28.10.02): Bei dieser Messung wurde ein zusätzlicher Temperatursensor im Inneren des Tubus verwendet. Damit sollte die Tubusluft-Temperatur im mittleren Bereich gemessen werden. Der Sensor befand sich zwischen Blendrohr und Sekundärspiegel.
Außerdem sollte diese Messung Aufschluss darüber geben, ob die bisherigen Messungen möglicherweise mit einem systematischen Fehler behaftet waren, der durch die Anbindung der Sensoren bedingt ist. Kritisch könnte die Sensorbefestigung an der Tubusoberfläche sein, und der Sensor zur Lufttemperaturmessung.

Versuchsweise wurde ein weiterer Tubus-Sensor gebaut, der großflächig über einen Messingbügel Kontakt zur Tubusoberfläche hat. Der Halbleiterfühler selbst befindet sich auf dem Messingbügel und wurde mit einem Anschlussdraht mit dem Messingbügel verlötet, und der Anschluss an das Sensorkabel erfolgte über einen dünnen Draht (0.1mm Durchmesser). Dadurch wird ein besserer Kontakt (= kleinerer Wärmewiderstand) zum Tubus erreicht als bei den bisherigen Messungen, wo der Halbleitersensor einfach mit einem Gummiband gegen den Tubus gedrückt wurde.

Es waren jedoch in beiden Montagefällen exakt die gleichen Temperaturen zu messen. Daraus lässt sich schließen dass auch die einfache Sensorbefestigung ausreichend ist, und hier kein systematischer Messfehler entsteht.

Komplizierter ist die Messung der Lufttemperatur. Es hat sich gezeigt dass eine Abschirmung des Sensors gegen den Boden und den Himmel erforderlich ist, weil sonst die jeweilige Wärmestrahlung den Messwert verfälscht. Bei den Messungen 1 - 3 hing der Luftsensor frei unter dem Stativ. Bei dieser Messung befand sich der Sensor in einem auf zwei Seiten geöffneten Kunststoffgehäuse, das den Sensor gegen Erde und Himmel abschirmt. Zusätzlich wurde während der Messung noch ein Lüfter installiert, der Luft über den Sensor bläst. Dabei zeigte sich nach Einschalten des Lüfters (70.Minute) eine sofortige Erhöhung des Messwerts um ca. 0.8 Grad! Es ist anzunehmen dass die Messung im bewegten Luftstrom wegen des erheblich besseren Wärmeübergangs zum Sensor das bessere Ergebnis liefert. Die Messung erfolgte in 1,5m Höhe, wobei nur ein Unterschied um ca. 0.15 Grad zwischen 0.5m und 2m Höhe zu messen war.

In der Darstellung der Messwerte (folgendes Bild) zeigt sich wieder das typische exponentielle Abfallen der Temperaturen. Wie zu erwarten fällt die Lufttemperatur im Tubus relativ langsam ab, im späteren Verlauf liegt sie zwischen den Einzeltemperaturen an den verschiedenen Stellen des Tubus.   

Der letzte Abschnitt (ab 190.Minute), zeigt das Verhalten der Temperaturen bei weitgehendem Wegfall der Strahlungsverluste, aufgrund einer schnell aufziehenden Wolkendecke. Hier laufen die Einzeltemperaturen des Tubus aufeinander zu, und insgesamt scheint sich die Temperatur auf die Lufttemperatur zuzubewegen. 

Wetterbedingungen: Himmel zunächst klar, relativ feuchte Luft, später vereinzelt Wolken, dann völlig bedeckter Himmel. Ab der 120.Minute beginnt der Meniskus zu beschlagen, Tubus und Montierung sind feucht.

 


 
 

Beugungsfiguren während Temperaturanpassung:

Hier noch eine Darstellung, die die Veränderung der Beugungsfiguren des Maksutovs nach dem Aufstellen des Teleskops zeigt. Das Gerät wurde bei ca. 17 Grad gelagert, und bei einer Lufttemperatur von ca. 5 Grad aufgestellt. Die Aufnahmen zeigen in jeder Zeile die Beugungsfiguren bei verschieden starker Defokussierung. Die Darstellung gehört nicht zu einer der obigen Messungen, und ist deshalb nur bedingt mit den gemessenen Temperaturverläufen vergleichbar.

Man erkennt zwei Effekte:

- Zunächst überwiegt der Effekt des "kochenden Bildes", dieser verschwindet nach ca. 45 Minuten
- In der dann sehr ruhigen Beugungsfigur zeigt sich extrafokal ein radialer Keil, intrafokal eine Delle. Das ist der Effekt der sich im Tubus einstellenden Konvektion aufgrund unterschiedlicher Temperaturen der verschiedenen Bauteile. Die Richtung der Störung ist immer in Gravitationsrichtung. Erst nach ca. 2 Stunden verschwindet auch dieser Effekt, und die Beugungsfiguren sind bei kleiner Defokussierung wirklich symmetrisch. In der unteren Zeile musste ich übrigens wegen einsetzendem Taubeschlag auf dem Meniskus vorzeitig einpacken....

 


 

Zwischen der 3. und 4. Zeile entstanden die beiden folgenden Planeten-Aufnahmen:



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(c) Martin Raabe, 2002